«Wir müssen das Dogma der Arbeitszeit überwinden.»

Interview mit Matthias Mölleney

Unternehmensberater, Dozent, Präsident der ZGP Zürcher Gesellschaft für Personalmanagement

Herr Mölleney, Teilzeitarbeit nimmt in der Schweiz laufend zu. Wenn es um Führungspositionen geht, herrscht allerdings immer noch Skepsis vor. Wie schätzen Sie das Potenzial ein?

Auch das wird kommen, da bin ich sicher. Allerdings müssen wir uns zuvor mit dem Begriff «Teilzeit» auseinandersetzen. In «Teilzeit» schwingt nämlich immer etwas Minderwertiges mit – als würde man sich eben nicht voll einsetzen. Das geht so weit, dass in den Arbeitsverträgen zwar die Arbeitszeit festgehalten ist, zu den Zielen der Arbeit hingegen findet man üblicherweise nichts. Dieses Dogma der Arbeitszeit müssen wir überwinden.

Wie stellen Sie sich das vor? Ist die Zeit nicht zentral für die Organisation von Arbeit?

Klar gibt es Berufe, bei denen die Arbeitszeit viel über die Leistung aussagt. Wenn Tramchauffeure acht Stunden im Einsatz sind, leisten sie offensichtlich doppelt so viel, wie wenn sie vier Stunden unterwegs sind. Wenn aber Medienschaffende acht statt vier Stunden an einem Artikel arbeiten, so ist dieser selten doppelt so gut. Und so ist es in vielen Berufen, von der Forschung bis zum Projektmanagement.

Ist Teilzeitarbeit Ihrer Meinung nach in jeder Branche und jeder Funktion machbar?

Sehen Sie, je höher man in einer Organisation kommt, desto weniger wird Vollzeit im klassischen Sinn gearbeitet. Die einen haben nebenbei ihre VR-Mandate, die anderen ihre Lehraufträge, und das ist alles bestens akzeptiert. Wenn jemand seine Arbeitszeit reduziert, um neben seiner Führungstätigkeit Zeit mit der Familie zu verbringen, wird das immer noch als Problem gesehen. Aber überall dort, wo man die Arbeitszeit so anpassen kann, dass sie zum Beispiel mit VR-Mandaten vereinbar ist, ist auch Teilzeitarbeit möglich.

Laut einer aktuellen Studie belegt die Schweiz den viertletzten Platz, was den Anteil von Frauen in Führungspositionen betrifft. Erklärt sich dies durch den in der Schweiz besonders hohen Unterschied zwischen dem Anteil von Frauen (60%) und von Männern (16%), die Teilzeit arbeiten?

Nun, seit Jahren diskutieren wir über die Lohndiskriminierung gegenüber Frauen. Es gibt allerdings eine Gruppe von Arbeitnehmenden, die noch stärker diskriminiert werden: Männer, die Teilzeit arbeiten wollen. Sie können es oft gar nicht, geschweige denn in führender Position. Was ich damit sagen will: Es geht meiner Ansicht nach nicht um Frauen- oder Männerförderung. Eine ganz aktuelle Studie der Universität St. Gallen zeigt, dass das Umfeld entscheidend ist – ist es männer- oder frauendominiert? Entsprechend werden Männer oder Frauen bevorteilt. Und in der Schweiz haben wir traditionsgemäss männerdominierte Industrien, was sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird. Deshalb brauchen wir dazu dringend eine Debatte in unserer Gesellschaft, weit über irgendwelche Quoten hinaus.

Was müssen Unternehmen tun, um in Zukunft attraktive Arbeitgebende zu bleiben?

Wenn Yahoo kürzlich die Möglichkeit zu Homeoffice abgeschafft hat, weil die Mitarbeitenden physisch präsent sein sollen, kann das für Yahoo funktionieren, aber nicht unbedingt für andere. Unternehmen müssen sich also immer wieder fragen, wer ihre Zielgruppe ist. Und wie sie sich von den anderen Unternehmen differenzieren können. Die Teilzeitarbeit stellt dabei ein zentrales Element dar.

Welche erfolgreichen Beispiele würden Sie anführen?

Von etablierten Grossunternehmen bis hin zu jungen erfinderischen Start-ups wird Teilzeit in Führungspositionen bereits eingesetzt. Vor Kurzem habe ich auch die Kantonspolizei Thurgau bei ihrem Nachwuchsproblem unterstützt. Die Skepsis war gross gegenüber Teilzeitarbeit in diesem Beruf, wo stete Einsatzbereitschaft gefordert ist. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung klar, dass gemischte Patrouillen von Männern und Frauen erfolgreicher sind – jedoch haben sie früher immer vergeblich nach Teilzeit gefragt. Mittlerweile wird Teilzeit angeboten, und das Echo ist überaus positiv.



März 2016